Holger Weber im Interview mit Dr. Gudrun Escher
Sprache ist geduldig und so manche Nachhaltigkeitsbewertung hat mehr mit green washing zu tun als mit der Realität. Längst ist fraglich, ob alle „Artikel-8“ oder „Artikel-9“ Fonds auch halten, was sie versprechen. Auf welche Weise der IT-Entwickler und Immobiliendienstleister x-project AG den Unsicherheiten begegnen will, erläutert deren Vorstand Holger Weber im Gespräch mit Dr. Gudrun Escher, Chefredakteurin „Der Immobilienbrief Ruhr“.
Dr. Gudrun Escher: Wenn im Rahmen etwa einer Due Diligence eine Bewertung der Nachhaltigkeitsaspekte eines Objektes oder Portfolios nach ESG benötigt wird, werden ESG-Beauftragte üblicherweise bei den Technikern die Parameter abfragen und entsprechende Häkchen machen. Ihr Ansatz ist umfassender und neuerdings bieten Sie ein juristisches Testat an. Warum?
Holger Weber: Wir kommen ursprünglich aus der Qualitätssicherung. Seit unserer Gründung im Jahr 2000 haben wir die Methoden zur Dokumentation und Datenerhebung kontinuierlich weiterentwickelt. Die EU-Anforderungen mit Blick auf das Groß-Thema ESG sind enorm. Inhaltlich, technisch und rechtlich. Um dennoch eine Lösung aus einer Hand anzubieten sind wir eine Kooperation mit den Anwälten der internationalen Societät King & Spalding eingegangen. Als Resultat sind jetzt Testate zur Konformität nach EU- Taxonomie für Artikel-9- und Artikel-8-Fonds erhältlich.
Dr. Gudrun Escher: Wie läuft das konkret ab?
Holger Weber: Was wir anbieten, ist mit DOREE+ eine digitale Kooperationsplattform, keine simple Dokumentenablage. Daten über die betreffenden Objekte werden mit ihrer Quelle untrennbar verbunden, so dass belegbar wird, wer wann welche Daten aus welcher Quelle erhoben hat. Anwälte und Techniker werden so nicht mehr mehrfach den Grundbuch-Scan suchen und durchsuchen müssen. Auf der Plattform ist auch sofort erkennbar, ob die Daten vollständig und aktuell sind.
Nach der rechtlichen Prüfung wird die Erfüllung der EU-Taxonomie in einem Konformitätsreport testiert. Das ergibt die notwendige Sicherheit hinsichtlich der Berichtspflichten.
Solche Reports werden künftig auch auf die weiteren Umweltziele neben Klimaschutz und Klimaanpassung der EU-Taxonomie-Verordnung fortgeschrieben und sind insbesondere relevant für sogenannte Impact-Fonds nach Artikel 9 und für ESG-Strategiefonds nach Artikel 8 der Offenlegungsverordnung, die einen Mindestanteil an „nachhaltigen Investitionen“ haben oder anstreben.
Dr. Gudrun Escher: Wieso eine digitale Plattform?
Holger Weber: An unserer Plattform DOREE+ können viele Datenquellen und Beteiligte andocken. Dokumente, Fotos und Datenquellen werden gemeinsam genutzt und so quasi wie in einer Blockchain qualitativ gesichert. Im- und Exporte nach Standardverfahren sind ebenso möglich wie individuelle Dashboards und individuelle Berichte. Aus unserer Sicht ist dieser erste „echte“ Datenraum auch wegen seiner Flat- rate ein sehr attraktives Angebot an die gesamte Immobilienbranche. Keiner kann mehr sagen, dass Datenräume zu teuer wären.
Dr. Gudrun Escher: Daten erfassen hört sich einfach an. Worin bestehen die häufigsten Hürden?
Holger Weber: Eine der größten Probleme ist oft die Komplexität der Daten. Welche Daten sind wofür erforderlich? Wer liefert sie? Wie kann ich sie weiterverarbeiten? Gerade fehlende Daten sind dabei eine Herausforderung. Denn eine Objektdokumentation ist Pflicht, aber nicht für jedes Objekt vorhanden. Da muss dann nachgebessert werden. Nicht jeder Bestandshalter ist sich dessen bewusst und verschiebt den Aufwand lieber. Aber, wer seine Daten zuerst qualitäts- gesichert hat, der gewinnt bei ESG. Wer auf schnelles Ein- tippen setzt, gerät womöglich in die Falle der Berichtspflichtenverletzung.
Dr. Gudrun Escher: Mit Datenerfassung ist ein finanzieller Aufwand verbunden. Muss das wirklich immer sein?
Holger Weber: Jeder Asset-Manager, der eine Immobilie rasch verkaufen wollte, weiß, wie lange die Datenbeschaffung dauern und wie viel sie kosten kann. Dennoch wurde sie bisher immer bis zuletzt aufgeschoben und der Deal hat sich aus diesem Grund oft verzögert. Mit den Anforderungen an ESG ist nun endlich Ende mit diesen Blindflügen. Die bisher eher katastrophale Lage muss jetzt aufgeräumt werden und dazu stehen wir mit Qualitätsdaten und Kooperationen bereit.
Dr. Gudrun Escher: Die Relevanz für neuere Objekte oder die Zertifizierung von Neubauten liegt auf der Hand. Wie sieht es mit dem Baubestand aus, der ja die Masse der Objekte ausmacht?
Holger Weber: Eine qualifizierte Datenerfassung ist da erst recht hilfreich, denn sie erleichtert die Entscheidung, ob eine Weiter- oder Umnutzung sinnvoll ist. Oberflächliche Einschätzungen sind häufig zu negativ. Außerdem sollte ableitbar sein, welche Maßnahmen zu treffen sind zur Ertüchtigung und Aufwertung entsprechend der EU-Taxonomie- Anforderungen.
Dr. Gudrun Escher: Könnte über Ihre Kooperationsplattform auch dem Urban Mining und den dafür erforderlichen Materialkatastern mit Zertifikat Vorschub geleistet werden?
Holger Weber: Wir haben unsere offenen und modularen Berichtsformen als Antwort auf die unterschiedlichsten Fragen und Aufgabenstellungen geschaffen. Selbstverständlich streben wir Kooperationen mit Materialkatastern an, um diese zu integrieren und Daten mit ihnen austauschen.
Holger Weber
Chief Executive Officer
Erschienen in „Der Immobilienbrief“.
Ausgabe Nr. 560 | 40. KW | 02. Oktober 2023.